'SCHWANKENDE PERSPEKTIVEN'
Videoprogramm kuratiert von Emilie Bujes und Elsa de Seynes
Samstag, 3. November, 2007, 21 Uhr

Catarina Simoes THE HOME PLANET

KEREN CYTTER, Dreamtalk, 2005, 11', digital video, color/sound.
KEREN CYTTER, Nothing, 2003, 13', digital video/8 mm , color/sound.
VERONIKA GERHARD, A Night In Hawaiian Royal, 2004, 4'41'', digital video, color/sound.
VERONIKA GERHARD, Rendez-vous Entre Chien et Loup_Entre Chien et Loup: Twilight, 2003, 7'37'', digital video, color/sound.
CATARINA SIMOES, The Home Planet, 2006, 7'40, digital video, color/sound.

Schon immer wollte der Experimentalfilm, historisch gesehen, die Konventionen des Erzählkinos abweisen. Doch zugleich haben sich Kunst und Kino stets gegenseitig inspiriert und beeinflusst. So scheinen Keren Cytter, Veronika Gebhard und Catarina Simões Erzählmuster zu verwenden, die zur Sprache des Kinos gehören; tatsächlich aber sabotieren sie diese Strukturen, die sie sich aneignen. Das Experimentieren mit Text und Erzählmustern ist das wiederkehrende Element in den ausgewählten Filmen, die Überlagerung von Erzählebenen und die Untersuchung der Rolle des Erzählers sind dabei verwendete Methoden. Pseudo-Fiktion, Pseudo-Science-Fiction, Pseudo-RealityTV, Pseudo-Wissenschaft… durch ihre Geschichten führen sie die Zuschauenden auf falsche Fährten und erlauben ihnen, die Wahrnehmung von Realität und Wahrheit zu hinterfragen, die sie durch Erzählungen vermittelt bekommen. Ihre bewusste Anlehnung an und ihr Spott über die Codes von Film und Fernsehen zeigen nicht nur gesellschaftliche Tendenzen auf, sondern offenbaren zudem die Präsenz der Künstlerinnen.

Dreamtalk ist emblematisch für Keren Cytters Art, euphoriegeladen und voll von Klischees (die sie feiert). Drei Personen, die an Soap-Opera-Darsteller erinnern, schauen beim Essen eine Reality-Show im Fernsehen an. Ihre eigene Geschichte scheint auf den Plot der Show zu passen, was den künstlichen Charakter der Situation betont. Zusätzlich zu dem gewollt schlechten Schauspiel lassen auch der rapide Takt des Schnitts und die leichte Asynchronität von Ton und Bild den Anschein einer Heimproduktion entstehen. Und wieder verwendet Keren Cytter soziale Mechanismen und Drehbuchtexte, die sie systematisch zerstört.

Ihr zweiter Film Nothing ist eine Multiplikation semantischer Schichten: die Wahrnehmungen einer Person, erfahrbar gemacht durch die der Filmemacherin. In der Verwendung verschiedener Formate (Text, Zeichnungen, Super8-Film) stoßen Fragmente einer Geschichte aufeinander und verschwinden. Das "ordnende Element" jedoch ("organising element" ist eine Bezeichnung, die die Künstlerin selbst verwendet) wirkt auf einer unterschiedlichen Ebene, was in diesem Fall zu einem weniger experimentellen, e her Kino-nahen Film führt.

In A Night In Hawaiian Royal teilt eine leicht im Pitch erhöhte "weibliche" Stimme die Unmöglichkeit mit, die narrative Rolle ihres "Ich" zu erfüllen. Durch das plagiatorische Ausüben eines poststrukturalistischen feministischen Text werden abstrakte theoretische Gedankengänge in einen inneren Monolog des Selbst gewandelt. In Form eines Videotagebuchs – und mit einem guten Maß an Humor – experimentiert Veronika Gerhard mit dem Wandel von Perspektiven in ihrem Versuch, das "Ich" zu repräsentieren.

Rendez-vous Entre Chien et Loup_Entre Chien et Loup: Twilight imitiert die narrativen und visuellen Codes von Tierwelt-Fernsehdokumentationen, um von einer autoritären kapitalistischen Gesellschaft zu berichten, deren Ideologie auf biologisch revolutionären Entdeckungen beruht. Während der Darlegung ihrer vergangenen pseudowissenschaftlichen Entwicklungen unterbricht die Künstlerin abrupt die visuelle Narration und macht sich das Erzählte zu Eigen. In beiden Arbeiten behandelt Veronika Gerhard die politische Dimension von Erzählungen und stellt den Wahrheitsanspruch in Frage, der in unserer Gesellschaft mit der Nutzung von Information und Wissen verbunden ist.

"Als Catarina Simões ihr Studio von einer Ameisenplage heimgesucht sah, wurde ihr das dystopische Potential von Insekten bewusst und sie beschloss, deren Charakteristik in Charakterzüge zu übersetzen" (Catarina Simões)

In The Home Planet treibt Catarina Simões ihre Kunstfertigkeit ins Extrem – nicht nur durch einen Monolog, der aus Science-Fiction-Romanen zusammengestückelt ist und verschiedene Blickwinkel mischt, sondern auch durch das von der Künstlerin erdachte Setting: ein Turm, aus Gläsern gestapelt, der an die Aufbauten früher Science-Fiction-Filme erinnert. Diese banale Erscheinung, verbrämt durch eine Ästhetik nahe an der Werbefotografie, ist mit einer "außergewöhnlichen" Geschichte auf der Klangebene konfrontiert, doch nur um vom Auftreten der Ameisen wieder hämisch ins Triviale gezogen zu werden.

Wir haben beschlossen, die Arbeiten in einem Galerieraum zu präsentieren, doch in einer filmischen Zeitlichkeit – mit klarem Anfang und Ende.

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Keren Cytter had a solo show at KW Institute for Contemporary Art, Berlin, and won the Baloise-Art Prize, Art Basel, Switzerland, in 2006. This year, she presented her works in solo shows at MUMOK, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Vienna, Elisabeth Kaufmann, Zurich, Thierry Goldberg Projects, New York and in the following group exhibtions/screenings: Self Fashioned Show, Extra City, Antwerpen, Lyon Biennial and 2nd Moscow Biennial.

Catarina Simões had solo shows at Starship Magazine e.V., Berlin, 2007 and at the Museu do Chiado, National Contemporary Art Museum, Lisbon, 2006. She also participated to the group exhibition SCIENCE I FICTION, Galerie Metro, Berlin, 2007.

Veronika Gerhard was Artist in Residence of the City of Paris, Cite International des Arts, Paris, in 2004, took part to the artist Studio Program, SSamzie Space, Seoul, Korea, 2003, and to Documenta Education Project, Scholarship of Documenta 11, Kassel, Germany, 2002. She presented her films at the Open Space Festival of Free Arts, Berlin in 2007, the Art Film Biennale, Museum Ludwig, Cologne 2005 and at Kunstwerke, Institute for contemporary Art, Berlin in 2003.

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After a common working experience at the art TV channel ikono.tv, Emilie Bujes and Elsa de Seynes started to collaborate on video programs, which they presented at the off-space POST in Berlin. Emilie Bujes worked then at the Centre d'Art Contemporain of Geneva, while contributing further to the art review vonhundert. Lately, she curated a program for the experimental short category at the LUFF Festival in Lausanne. Elsa de Seynes produced the shortfilm of Berlin-based French filmmaker Yves Lechermeier. Now respectively working at Centre Pompidou, Paris, and at the Haus der Kulturen der Welt, Berlin, Emilie Bujes and Elsa de Seynes meet again to present the program "Schwankende Perspektiven" at Galerie Olaf Stüber.